Mittwoch, 4. Dezember 2013

Jubel um einen Jungen. John F. Kennedy in Deutschland, 23. bis 26. Juni 1963. Reaktionen in der Region



© Ernst T. Mader 

„Ich will ‘nen Cowboy als Mann“, sang am 15. Juni 1963 ein blondes Mädchen aus Dänemark in Baden-Baden. 30 Minuten später umarmte Marlene Dietrich die 16-jährige Gitte Haenning und gratulierte ihr zum Sieg bei den dritten deutschen Schlagerfestspielen. Acht Tage danach verließ ein Mann aus dem Land der Cowboys bei strahlendem Sommerwetter und mit müdem Gesicht sein Flugzeug nahe Köln, um anschließend Kanzler Konrad Adenauer sechs und seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard neun Sekunden lang die Hand zu drücken. Betont flüchtig begrüßte der Gast Hans Globke, Nazi-Jurist in Adenauers Diensten: John F. Kennedys erste Signale bei seinem Deutschlandbesuch. Anschließend beklatschten zehntausende den US- Präsidenten auf seiner Fahrt durch Köln und Bonn. (Es folgten Hanau, Frankfurt, Wiesbaden, und Berlin.) „Ich kenne die, ich kenne die, ich kenne diese Frau“ sangen sie ihm entgegen, Kennedy beantwortete das wortspielerische Karnevalslied mit dem Ruf: „Kölle Alaaf“- und doch blieben die meisten Rheinländer etwas reservierter als bei de Gaulles Besuch im September 1962. Bei meiner Mutter, einer Bäuerin im Allgäu, war es umgekehrt: „Schau, was die Miez und die Tante Rita für einen Präsidenten haben“, sagte sie mit der Zeitung in der Hand. „Unser Kanzler hat Falten.“ Die Miez und die Tante Rita waren ein paar Jahre davor mit amerikanischen Männern in die USA gegangen und dort geblieben. Und jetzt hatten sie einen solchen Präsidenten. Fair war das nicht, aber auch nicht zu  ändern. Hier Falten, dort Filmgesicht. „Wo der wohnt, gibt es Neger“, wusste einer in der Schule. „Die machen Aufstände“, erklärte der Lehrer, „überall brennt’s dort. Bei uns nicht.“ Bei uns gab es den faltigen Kanzler. Den fand er so gut wie mein Opa, Kennedy war nett, aber doch der Präsident eines lauten Landes und einer faktischen Besatzungsmacht.
Ansonsten war die Begeisterung groß, auch wenn Kennedy nicht persönlich erschien, sondern lediglich in der Presse sowie in den täglich drei Sondersendungen des Fernsehens vom 23. bis 26. Juni, die mangels eigenem Gerät nicht wenige in nachbarlicher Gemeinschaft sahen. Gegenüber der Augsburger Allgemeinen, die nach dem Staatsbesuch ausschließlich Frauen und Mädchen befragte, schwärmten die in der Schwabenmetropole Interviewten zumeist vom Präsidenten; ob Hausfrau oder Vertreterin, Buchhalterin oder Wirtin, Angestellte oder Arbeiterin, ob 15 oder 50, fast alle erklärten ihn zum Traummann: „Wenn ich mal heirate, so würde ich gern einen Mann haben wie den Kennedy“, seufzte eine Schülerin mit sehnsüchtigem Blick zum Himmel. „Kennedy finde ich wunderbar.“ - „Er sieht sehr gut aus und ist ja noch so herrlich jung.“ - „Er hat Mut und ich finde, man kann ihm alles glauben, was er sagt. Mit einem Wort, er ist einmalig.“ - „Ganz große Klasse. Ich möchte am liebsten den ganzen Tag vor dem Fernsehschirm sitzen und alles mit ansehen und hören, was er tut und sagt.“ - „Ich habe bis jetzt noch keinen Fehler an Kennedy entdeckt. Er ist für mich genau der Typ des modernen aufgeschlossenen Mannes.“

Spontane Zustimmung auch in anderen Regionen Schwabens: Josef Rid, Landrat von Kaufbeuren ließ seine Zeitung, den Allgäuer, wissen: „Ich finde es erfreulich, dass Kennedy nach Deutschland gekommen ist. Genauso erfreut höre und lese ich von dem Jubel um den Präsidenten. Ich glaube, dieser Europa-Besuch wird den Frieden in der Welt noch mehr festigen.  Und das ist wichtig auch für die kommunale Arbeit, die genau wie die weltpolitische auf lange Sicht betrieben werden muss.“ Walter Werz, Vorsitzender des Tänzelfestvereins in Kaufbeuren schloss sich an: „Ich freue mich, dass Kennedy überhaupt kam. Fast noch mehr freut es mich, dass der Präsident den Europäern so deutlich den Marsch geblasen hat.“
Ein Polizeiobermeister aus dem Ostallgäu wäre gern Teil der motorisierten Bodyguardtruppe gewesen, „fahrtechnisch“ habe er da bei der Wehrmacht alles Nötige gelernt. „Die Mitverantwortung für das Leben des Präsidenten hätte auch einen Anreiz bedeutet.“
Als „gewaltig bedeutungsvoll“ für die Welt schätzte ein kaufmännischer Angestellter den Kennedybesuch ein, versäumte deshalb kaum einen entsprechenden Beitrag im Fernsehen und merkte an, dass die Deutschen knapp 20 Jahre vorher dem eigenen Führer ebenso zugejubelt hätten wie jetzt dem US-Präsidenten, glaubte aber: „Er wird die Begeisterungsfähigkeit von früher und heute unterscheiden können.“ Vor allem sein Bekenntnis, er sei ein Berliner, wertete ein anderer aus der Region als wohltuenden Beweis für Kennedys Interesse an Deutschland. Und zufrieden zitierte der Leitartikler im Allgäuer, wie Kennedy die Deutschen einbezog in seine Vision für die Welt: „Wir sind verbündet in dem einzigen Krieg, den wir wünschen, dem Krieg gegen Armut, Hunger, Unwissenheit und Krankheit in unseren eigenen Ländern und in der ganzen Welt.“ Fünf Monate später war dieser Präsident tot, erschossen in jenem Lincoln Continental, in dem er im Sommer durch Deutschland gefahren war.

Karikatur aus der Augsburger Allgemeinen vom 28. Juni 1963
Eine gekürzte Fassung des Artikels erschien am 26. Juni 2013 in der Allgäuer Zeitung.

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