© Ernst T. Mader
„Ich will ‘nen Cowboy als Mann“,
sang am 15. Juni 1963 ein blondes Mädchen aus Dänemark in Baden-Baden. 30
Minuten später umarmte Marlene Dietrich die 16-jährige Gitte Haenning und
gratulierte ihr zum Sieg bei den dritten deutschen Schlagerfestspielen. Acht
Tage danach verließ ein Mann aus dem Land der Cowboys bei strahlendem
Sommerwetter und mit müdem Gesicht sein Flugzeug nahe Köln, um anschließend Kanzler
Konrad Adenauer sechs und seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard neun
Sekunden lang die Hand zu drücken. Betont flüchtig begrüßte der Gast Hans
Globke, Nazi-Jurist in Adenauers Diensten: John F. Kennedys erste Signale bei
seinem Deutschlandbesuch. Anschließend beklatschten zehntausende den US-
Präsidenten auf seiner Fahrt durch Köln und Bonn. (Es folgten Hanau, Frankfurt,
Wiesbaden, und Berlin.) „Ich kenne die, ich kenne die, ich kenne diese Frau“
sangen sie ihm entgegen, Kennedy beantwortete das wortspielerische
Karnevalslied mit dem Ruf: „Kölle Alaaf“- und doch blieben die meisten
Rheinländer etwas reservierter als bei de Gaulles Besuch im September 1962. Bei
meiner Mutter, einer Bäuerin im Allgäu, war es umgekehrt: „Schau, was die Miez
und die Tante Rita für einen Präsidenten haben“, sagte sie mit der Zeitung in
der Hand. „Unser Kanzler hat Falten.“ Die Miez und die Tante Rita waren ein
paar Jahre davor mit amerikanischen Männern in die USA gegangen und dort
geblieben. Und jetzt hatten sie einen solchen Präsidenten. Fair war das nicht,
aber auch nicht zu ändern. Hier
Falten, dort Filmgesicht. „Wo der wohnt, gibt es Neger“, wusste einer in der
Schule. „Die machen Aufstände“, erklärte der Lehrer, „überall brennt’s dort.
Bei uns nicht.“ Bei uns gab es den faltigen Kanzler. Den fand er so gut wie
mein Opa, Kennedy war nett, aber doch der Präsident eines lauten Landes und
einer faktischen Besatzungsmacht.
Ansonsten war die Begeisterung
groß, auch wenn Kennedy nicht persönlich erschien, sondern lediglich in der
Presse sowie in den täglich drei Sondersendungen des Fernsehens vom 23. bis 26.
Juni, die mangels eigenem Gerät nicht wenige in nachbarlicher Gemeinschaft
sahen. Gegenüber der Augsburger
Allgemeinen, die nach dem Staatsbesuch ausschließlich Frauen und Mädchen
befragte, schwärmten die in der Schwabenmetropole Interviewten zumeist vom
Präsidenten; ob Hausfrau oder Vertreterin, Buchhalterin oder Wirtin,
Angestellte oder Arbeiterin, ob 15 oder 50, fast alle erklärten ihn zum
Traummann: „Wenn ich mal heirate, so würde ich gern einen Mann haben wie den
Kennedy“, seufzte eine Schülerin mit sehnsüchtigem Blick zum Himmel. „Kennedy
finde ich wunderbar.“ - „Er sieht sehr gut aus und ist ja noch so herrlich
jung.“ - „Er hat Mut und ich finde, man kann ihm alles glauben, was er sagt.
Mit einem Wort, er ist einmalig.“ - „Ganz große Klasse. Ich möchte am liebsten
den ganzen Tag vor dem Fernsehschirm sitzen und alles mit ansehen und hören,
was er tut und sagt.“ - „Ich habe bis jetzt noch keinen Fehler an Kennedy entdeckt.
Er ist für mich genau der Typ des modernen aufgeschlossenen Mannes.“
Spontane Zustimmung auch in anderen
Regionen Schwabens: Josef Rid, Landrat von Kaufbeuren ließ seine Zeitung, den Allgäuer, wissen: „Ich finde es
erfreulich, dass Kennedy nach Deutschland gekommen ist. Genauso erfreut höre
und lese ich von dem Jubel um den Präsidenten. Ich glaube, dieser Europa-Besuch
wird den Frieden in der Welt noch mehr festigen. Und das ist wichtig auch für die kommunale Arbeit, die genau
wie die weltpolitische auf lange Sicht betrieben werden muss.“ Walter Werz, Vorsitzender
des Tänzelfestvereins in Kaufbeuren schloss sich an: „Ich freue mich, dass
Kennedy überhaupt kam. Fast noch mehr freut es mich, dass der Präsident den
Europäern so deutlich den Marsch geblasen hat.“
Ein Polizeiobermeister aus dem
Ostallgäu wäre gern Teil der motorisierten Bodyguardtruppe gewesen,
„fahrtechnisch“ habe er da bei der Wehrmacht alles Nötige gelernt. „Die
Mitverantwortung für das Leben des Präsidenten hätte auch einen Anreiz bedeutet.“
Als „gewaltig bedeutungsvoll“ für
die Welt schätzte ein kaufmännischer Angestellter den Kennedybesuch ein,
versäumte deshalb kaum einen entsprechenden Beitrag im Fernsehen und merkte an,
dass die Deutschen knapp 20 Jahre vorher dem eigenen Führer ebenso zugejubelt
hätten wie jetzt dem US-Präsidenten, glaubte aber: „Er wird die
Begeisterungsfähigkeit von früher und heute unterscheiden können.“ Vor allem
sein Bekenntnis, er sei ein Berliner, wertete ein anderer aus der Region als
wohltuenden Beweis für Kennedys Interesse an Deutschland. Und zufrieden
zitierte der Leitartikler im Allgäuer,
wie Kennedy die Deutschen einbezog in seine Vision für die Welt: „Wir sind
verbündet in dem einzigen Krieg, den wir wünschen, dem Krieg gegen Armut,
Hunger, Unwissenheit und Krankheit in unseren eigenen Ländern und in der ganzen
Welt.“ Fünf Monate später war dieser Präsident tot, erschossen in jenem Lincoln
Continental, in dem er im Sommer durch Deutschland gefahren war.
Karikatur aus der Augsburger
Allgemeinen vom 28. Juni 1963
Eine gekürzte Fassung des Artikels erschien am 26. Juni 2013 in der Allgäuer Zeitung.