Die Soldaten kommen aus dem Norden und dem Westen, um angeblich in eine Weltecke voller Berge und Rückständigkeit ihre Modernität zu bringen. Mit Gewalt. Denn die meisten Hinterwäldler hängen an ihrem Leben, das die von draußen als mittelalterlich verspotten und deshalb etwa verkünden, Frauen dürften ihre Haut ab jetzt großzügig zeigen, nicht nur im Gesicht und an den Händen.
Was den Einheimischen heilig ist, gilt den Besatzern als Aberglaube, und so verbieten sie eingewurzelte religiöse Bräuche wie Wallfahrten oder Bittgänge. Dann rekrutieren die Invasoren auch noch Männer aus dem Bergvolk für die eigene Armee. Jetzt reicht’s. Ein streng religiöser Kerl mit einem Mordsbart führt andere streng religiöse Kerle mit Mordsbärten in Schlachten gegen die Fremden. Und gewinnt. Jedenfalls eine Zeitlang. Und das Publikum jubelt. Beklatscht die bärtigen Fundamentalisten, nicht die gefälligen Modernen. Es klatscht an einem Nachmittag in Altusried, ist schon eine Weile her.
Die Kulisse der Freilichtbühne zeigt: Wir sitzen zwar im Oberallgäu, sind aber in Tirol. Der Oberbärtige heißt Andreas Hofer, kämpft 1809 gegen Bayern und Franzosen und ordnet nach dem ersten Sieg gegen die Eindringlinge an, Frauen sollten nicht mehr "ihre Brust und Armfleisch zu wenig und mit durchsichtigen Hadern bedecken". Zugleich verdammt ein Mitstreiter, der Kapuzinerpater Joachim Haspinger (in Tirol, nicht in Altusried), die von Bayern angeordnete Impfung gegen Pocken, weil damit den „Tiroler Seelen bayerisches Denken“ injiziert werden könnte. Seinem Ruf als „Freiheitskämpfer“ (mit vielen Denkmälern) hat das bis heute nicht geschadet. Am Ende (1810) wird Hofer von den siegreichen Franzosen als Aufrührer zum Tode verurteilt und erschossen. Wieder fühlt das Publikum mit dem antimodernen religiösen Krieger, nicht mit den aufgeklärten Siegern.
Habe ich damals Taliban beklatscht? Taliban von nebenan? Wie auch immer: Wer Afghanistan 2021 verstehen will, kann von Tirol 1809 viel lernen. Wie von den Römern. Deren Taliban im besetzten Germanien hießen Cherusker. Diese analphabetischen Barbaren besiegten die Weltmacht Rom 9 nach Christus im Teutoburger Wald, angeführt von Arminius. Auch er schaffte es auf Denkmäler. Sogar in den USA. Unsere eigenen Taliban tun wir halt schon mögen.
Der Text erschien am 4. September 2021 in der "Allgäuer Zeitung".